Die Doktorarbeitszeit ist eine ganz besondere Zeit im Leben – für die meisten Promovierenden sicherlich sehr intensiv und in so ziemlich jedem Fall von Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Manches Mal wirst du dich sehr gefordert oder sogar überfordert fühlen, manchmal wird es Reibereien oder Streitigkeiten geben, manchmal wirst du dich vielleicht allein gelassen fühlen oder ungerecht behandelt.
Und tatsächlich ist es so, dass viele Doktorarbeiten nicht fertiggestellt werden. In so ziemlich jedem Fachgebiet werden weitaus mehr Promotionsverfahren angemeldet als abgeschlossen, wobei die Dunkelziffer noch viel höher ist, da es an vielen Fakultäten auch weiterhin nicht notwendig ist die Promotion gleich zu Beginn anzuzeigen. Zum einen Scheitern viele Promotionsvorhaben in der Schreibphase und bleiben aus unterschiedlichsten und wechselnden Gründen einfach so lang liegen, bis sich der Promovierende irgendwann eingesteht, dass er die Arbeit nicht mehr abschließen wird. Andererseits wird auch eine durchaus nennenswerte Anzahl von Arbeiten in der praktischen Phase hingeworfen, wobei hier die Gründe meist klar benannt werden können.
Zwei Jahre Arbeit und noch immer keine Perspektive
Auch ich habe erst im zweiten Anlauf die richtige Promotion gefunden. Wie bei Medizinern nicht unüblich, hatte ich mir schon kurz nach dem Physikum eine Doktorarbeit gesucht. Das Thema passte, ich hatte extra darauf geachtet mir ein Arbeit in der Psychiatrie zu suchen, weil ich in diesen Fachbereich gehen wollte. Und ambitioniert wie ich war, sollte es natürlich auch eine experimentelle Arbeit im Labor sein. Mein Betreuer stand noch ziemlich am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere, hatte aber einige Gelder akquiriert und konnte nun ein eigenes Labor aufbauen. Und das taten wir dann auch: ein Labor für unseren Betreuer aufbauen – drei Doktoranden, zwei Jahre lang. Als dann aber immer noch nicht mal eine Fragestellung stand und trotz mehrere Gespräche auch keine Perspektive auf einen baldigen Beginn meiner eigenen Untersuchungen auszumachen war, warf ich die Arbeit hin – sehr zur Überraschung meines Betreuers.
Bei meiner zweiten Suche nach einer Doktorarbeit ging ich anders vor: das Thema war diesmal zweitrangig, dafür wählte ich meinen Doktorvater nach Sympathie aus und danach dass ich ihm vertraute, mich bei der Arbeit in ausreichendem Maße zu unterstützen. Und ich behielt recht! Wir hatten die gesamte Zeit über ein hervorragendes Verhältnis, er führte mich im Studienzentrum gut ein und gab mir alle Grundlagen mit, die ich brauchte, um eine gute Studie zu entwickeln und die Arbeit erfolgreich abzuschließen. Darüber hinaus war es diese Doktorarbeit, die meinen weiteren Werdegang stark prägte und den Beginn meiner Laufbahn als Epidemiologin markierte.
Welche Schwierigkeiten auftauchen können
Für mich war es damals ab einem gewissen Zeitpunkt ziemlich klar, dass die erste Arbeit niemals zu einem Doktortitel führen würde, weshalb die Entscheidung aufzuhören dann doch recht einfach war. In vielen andern Fällen ist es nicht so eindeutig und es kann gut sein, dass sogar von außen Druck aufgebaut wird die Arbeit unbedingt weiterzuführen.
Grob unterschieden möchte ich zwei Problembereiche im Verlauf einer Promotion: zum einen sind das inhaltliche Herausforderungen, die dazu führen können, dass man anfängt zu überlegen, ob man vielleicht das falsche Thema oder den falschen Fachbereich gewählt hat. Zum anderen kann es menschliche Differenzen geben, die die Arbeit mit dem Betreuer oder dem ganzen Forschungsteam massiv behindern.
Und natürlich können sich auch beide Bereiche gegenseitig beeinflussen und hochschaukeln. Wenn die Kommunikation im Team schwierig ist, wird es mühsamer inhaltliche Schwierigkeiten zu klären und auszuräumen. Und wenn die Studie oder die Experimente nicht gut laufen, dann ist die Stimmung im Team auch gerne mal recht angespannt.
Und dennoch gibt es in meinen Augen nicht den einen Punkt oder die eine Konstellation von Problemen, die zwingend dazu führen muss, die Doktorarbeit abzubrechen.
Wir haben immer mit Menschen zu tun, auch in der Forschung, so dass die gute Nachricht lautet: viele Probleme vergehen von selbst wieder oder lassen sich mit etwas gutem Willen klären. Deshalb gilt bei der Doktorarbeit das gleiche, das für viele andere Entscheidungen auch gilt: überstürze nichts, suche das Gespräch und schlaf erstmal eine Nacht drüber, oder auch mehrere, bevor du auf die Idee kommst deine Arbeit hinzuwerfen.
Andererseits solltest du dir den Gedanken wirklich und ganz bewusst erlauben: du kannst deine Arbeit abbrechen. Niemand kann dich zwingen sie weiter zu machen.
Lass dich nicht davon beeinflussen, was du schon investiert hast, denn alles was wirklich zählt, ist das zu erwartende Outcome und die Kosten für dich. Wenn es dir geht wie mir und du ziemlich sicher weißt, dass die Arbeit nicht fertig zu stellen sein wird in absehbarer Zeit, ist es ziemlich einfach. Aber auch wenn die Belastung für dich schlicht zu groß ist, selbst wenn du sicher bist, dass ein Abschluss der Arbeit zumindest theoretisch möglich ist, kann es die beste Option sein die Arbeit abzubrechen und eine neue zu suchen. Wäge in jedem Fall den zu erwartenden Nutzen gegen die zu erwartenden Kosten ab. Denn alles was du bislang investiert hast, ist so oder so bereits vergangen und kommt in keinem Fall wieder, kann deshalb auch keine Entscheidungsgrundlage sein. Und jeder Tag den du weiter unnötig an etwas anhaftest, das du dann doch nicht abschließt, hindert dich daran mit etwas neuem zu beginnen und deinem eigentlichen Ziel näher zu kommen.
Umgang mit persönlichen Problemen
Manchmal hängen die Überlegungen eine Promotion abzubrechen mit persönlichen Umständen und Problemen zusammen. Ich kenne mehr als einen Promovierenden der wegen Überlastung und privaten Schwierigkeiten den praktischen Teil der Doktorarbeit nicht fertig gemacht hat. All diese Personen hatten allerdings eine Gemeinsamkeit: sie hatten alle das Gefühl private Problemen seien wirklich auch nur ihre eigenen Probleme und deshalb haben sie mit niemandem darüber gesprochen und meist nicht mal daran gedacht, dass es andere Lösungen geben könnte. Mach nicht den gleichen Fehler! Viele Menschen, auch ProfessorInnen, haben weit aus mehr Verständnis für persönliche Notlagen und temporäre Unpässlichkeiten, als man vor allem als junger, unerfahrener Mensch erwartet.
Deshalb geh offen mit deinen Problemen um. Das bedeutet nicht, dass du eine Seelenstriptease hinlegen sollst, zumindest nicht, wenn du das nicht willst. Es bedeutet aber, dass du Verantwortung übernimmst, proaktiv das Gespräch suchst und deine Situation erklärst. Du kannst nicht verlieren. Ganz im Gegenteil wirst du feststellen, dass sich im Gespräch Unterstützungsangebote und ganz neue Wege auftun. Möglicherweise kann dir jemand bestimmte Verpflichtungen abnehmen oder man kann bei der Zeitplanung doch ganz anders auf dich eingehen als du dachtest. Nicht selten tun sich im Gespräch Lösungen auf, die dir allein nie in den Sinn gekommen wären. Also nutze unbedingt diese Chance. Und im schlimmsten Fall tust du das, was du dir von Vornherein gedacht hattest: du brichst deine Arbeit ab.
Eine Promotion abzubrechen ist kein Scheitern und wird dir langfristig keinerlei Nachteile bringen. Wenn du doch noch den Titel brauchst oder willst, wird sich eine neue Gelegenheit ergeben. Viel wichtiger ist das Wissen, dass du immer Handlungsspielraum hast und jede Situation selbst beeinflussen kannst.
Wenn die Arbeit an der Promotion zu schlimm oder zu belastend für dich wird, dann triff eine Entscheidung (idealerweise mit Unterstützung) und wirf die Doktorarbeit gegebenenfalls hin, denn auch hier gilt: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Das Wissen um die Option einfach hinzuwerfen kann dich auch andersherum kräftig motivieren, doch noch durchzuhalten und die Arbeit erfolgreich abzuschließen.
Wichtig ist nur, dass du aktiv handelst und entscheidest, sonst wird für dich entschieden werden.