Als ich noch an der Uni gearbeitet habe, kamen immer wieder Studierenden vorbei, auf der Suche nach einer Doktorarbeit. Die eine Frage, die ich dabei besonders häufig gehört habe, war: „Vergebt ihr statistische Arbeiten, die man in 6 bis 9 Monaten abschließen kann? Mehr Zeit habe ich nämlich nicht.“
Natürlich handelte es sich dabei ausschließlich um MedizinerInnen, denn in anderen Fachrichtungen besteht nicht so sehr der Druck eine Promotion zu machen und niemand sonst würde nach einer „statistischen Arbeit“ fragen. Die meisten machten zudem nicht den Eindruck als hätten sie sich bereits intensiver mit dem Thema „Promotion“ befasst. Deshalb habe ich gelegentlich jemandem auseinandergesetzt, warum er/sie mit diesem Ansatz eher keine geeignete Arbeit finden wird.
Statistische Doktorarbeit – was ist das?
Eine statistische Arbeit machen zu wollen, das hört man nur von Medizinern. Ja, auch ich habe schon häufiger mal von dieser Aufteilung in experimentelle, klinische und statistische Arbeiten im medizinischen Umfeld gehört und gelesen, aber eigentlich ist das unsinnig. Die Statistik ist ein Werkzeug, das wir benötigen, um aus unseren Studienergebnissen valide Aussagen ableiten zu können. Sie ist also ein Teil einer jeden Arbeit, zumindest wenn es sich um quantitative Forschung handelt. Hinzu kommt, dass Statistik ein durchaus kompliziertes Feld ist, das wohl keiner der Fragenden wirklich beherrschte, und das kaum der angemessene Begriff für eine besonders einfach zu erstellende und schnell abzuschließende Arbeit sein kann. Was die Fragenden in aller Regel meinten, war eine Arbeit ohne experimentellen oder klinischen Anteil, für die entweder vorhandene Daten oder (historische) Literatur ausgewertet werden könnten.
Ja, solche theoretischen Literaturarbeiten gibt es (auch in der Medizin) und die Annahme, dass diese schneller zu erstellen sein können als andere Arbeiten, ist sicher nicht ganz falsch. Der größter Vorteil an diesen Arbeiten ist, dass sie ohne viel Vorbereitung begonnen und ohne große Abhängigkeiten von anderen vollendet werden können. Für eine Literaturarbeit ist meist kein Ethikvotum erforderlich (außer es handelt sich um Patientendaten) und man benötigt auch nur sehr wenig Materialen. In aller Regel kann der Promovierten nach eigenem Zeitplan seine Arbeit gestalten und durchführen. Einzig für Gespräche mit Doktorvater oder -mutter sind Terminabsprachen erforderlich und bei der Beschaffung von manchen Literaturstellen bzw. Unterlagen kann es mal zu Verzögerungen kommen.
Doktorarbeit = eigenständige wissenschaftliche Arbeit
Auch eine Literaturarbeit muss die Kriterien, die an eine Doktorarbeit gestellt werden, erfüllen. Das heißt, es muss sich um eine eigenständige, wissenschaftliche Arbeit handeln, die einen forschungsbasierten Wissenszuwachs liefert. Eine Zusammenfassung des aktuellen Wissensstands, wie das für eine Bachelor- oder Masterarbeit ausreichend ist, genügt also nicht.
An diesem Punkt fängt das Problem für viele Promovierende bereits an. Denn sie erhoffen sich vom Doktorvater oder der Doktormutter eine so weit vorgefertigte Fragestellung, dass sie diese nur noch abarbeiten müssen. Möglicherweise gibt es solche Arbeiten, aber verlassen sollte man sich nicht darauf, vor allem da sich im Verlaufe der Arbeit auch Änderungen ergeben können und sich mit zunehmendem Erkenntnisgewinn zeigen kann, dass die Fragestellung in der vorliegenden Form gar nicht beantwortbar ist.
Ja, es gibt sicherlich Doktorarbeiten, die mit geringerem Aufwand zu erledigen sind und weniger Einarbeitung erfordern als andere. Ich finde es auch durchaus legitim einen Doktortitel haben zu wollen, ohne sich jahrelang dafür aufzuarbeiten und zu binden, und das nicht nur als Mediziner. Dennoch sollte man sich unbedingt bewusst sein, dass kein Doktortitel jemals geschenkt ist.
Was ist dir wirklich wichtig
Unabhängig von der Art der Datenerhebung, also unabhängig davon, ob du die Daten im Labor oder aus einer Befragung selbst erfasst oder ob du sie auf vorhandenen Dokumenten extrahierst, wirst du zum Experten deines Themas und deiner Fragestellung werden müssen. Du musst deine Daten durchdringen und so präsentieren, dass sie auch für Außenstehende verständlich werden. Du musst dein Thema greifbar machen und deiner Arbeit Struktur geben, denn jede Promotion erfordert eigenständige Arbeit und den Einsatz von geistigen und zeitlichen Ressourcen.
Mehr Freude an der Promotion und möglicherweise mehr Erfolgsaussichten hat man m.E., wenn man sich vorher bereits Gedanken zu den eigenen Interesse und Neigungen macht. Denn das Einarbeiten in ein Thema, das einem liegt und für das man Interesse aufbringt, fällt so ziemlich jedem leichter als sich in ein Thema einarbeiten, das einen langweilt oder das man gar ablehnt.
Ich halte es deshalb für den falschen Ansatz eine Promotion einzig nach dem zu erwartenden Arbeitsaufwand auszuwählen, denn erstens kann man sich dabei ziemlich täuschen und zweitens fühlt sich spannende Arbeit meist viel kürzer an und geht zudem leichter von der Hand.
Außerdem lohnt es sich allemal darüber nachzudenken, ob man denn wirklich nur so wenig Zeit aufwenden kann. Bei Medizinern steckt meistens das Bedürfnis dahinter, die Promotion noch im Studium, idealerweise vor dem Praktischen Jahr abzuschließen. Das ist aber keinesfalls der einzig mögliche Zeitpunkt. Ich bin sogar überzeugt, dass viele deutlich besser fahren, wenn sie die Promotion erst später angehen.
Es gibt mehr als einen Weg zum begehrten Titel
Ich kann es nur immer wiederholen: niemand muss promovieren, auch kein Mediziner, deshalb nutze die Doktorarbeitszeit für dich, deine Weiterbildung und deine Entwicklung. Nur auf zeitliche Effizienz zu optimieren halte ich für nicht sinnvoll und auch nicht unbedingt für erfolgversprechend. Schließlich wirst du dich aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder so intensiv mit einem Thema befassen, wie du das im Rahmen der Doktorarbeit tust. Und auch für die einfachste Arbeit gilt es bestimmte Methoden und Vorgehensweisen zu erlernen. Das wäre doch wirklich schade, wenn nichts davon dich wirklich interessieren oder dich an andern Stellen in deinem Leben weiterbringen würde.