Schule – ein Thema an dem so ziemlich niemand vorbeikommt. Wir alle, zumindest nahezu, haben mehr oder weniger lang eine Schule besucht. Sie hat uns eine lange Zeit unserer Jugend begleitet. Und ich denke, ich liege ganz gut, wenn ich davon ausgehen, dass jede/r von uns sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen an diese Zeit hat.

Als Mutter von drei Kindern bin ich seit einigen Jahren wieder sehr intensiv mit dem Thema befasst. Viele meiner eigenen Erfahrungen sind wieder präsenter geworden. Meine beiden Söhne und meine Tochter zeigen mir oft, dass Schule nicht bietet, was sie brauchen, und dass viele Ansätze, denen sie dort begegnen, völlig entgegengesetzt sind zu allem, was wir als Familie leben und wie wir sein wollen.

Dieser Artikel ist entstanden im Rahmen der Blogparade zum Thema „Wunschzettel an die Schule“ von Dina Mazotti bei „begabt und glücklich“. Er fasst meine Erfahrungen und meine Gedanken zum Bildungssystem zusammen und ist geprägt von unserem Umzug aus Berlin nach Bayern mitten im Corona-Sommer 2020.

Schule als Institution

Wir haben das Glück oder Pech verschiedene Schulen und verschiedene Systeme innerhalb Deutschlands kennengelernt zu haben. Eingeschult wurden meine Kinder in einer Freie Alternativschule in Berlin. Inzwischen sind die beiden Großen an einem staatlichen Gymnasium in Bayern. Die Tochter besucht, nach einem kurzen Ausflug an die örtliche Grundschule, wieder eine freie Schule.

Die Unterschiede sind riesig, die Probleme im Schulsystem zwischen Bayern und Berlin sehr verschieden. Dennoch lässt sich überall das gleiche Muster erkennen: die staatliche Regelschulen verharren in der althergebrachten, traditionellen Ausgestaltung und die privaten Schulen, soweit es sie denn gibt, definieren sich hauptsächlich in der Abgrenzung zu den Regelschulen.

Schule erlebe ich auch heutzutage weiterhin als ein autoritären System. Nicht immer und überall, aber ganz überwiegend. Es herrscht ein deutliches Autoritätsgefälle und Mitsprache wird den Kindern und Jugendlichen kaum zugestanden. An vielen Stellen wird Gehorsam erwartet und Entscheidungen sollen möglichst nicht hinterfragt oder gar diskutiert werden.

Lerninhalte für die Vergangenheit

Was an den Schulen unterrichtet wird, hat mit der aktuellen Lebensrealität der jungen Menschen jetzt schon nicht viel zu tun, und mit der zukünftigen wird es noch weniger zu tun haben. Die Kinder merken schon früh, dass es nicht stimmt, was sie von den LehrerInnen immer wieder hören, dass die Lerninhalte unglaublich wichtig und relevant sind.

Lehrpläne entstehen an den Schreibtischen von gealterten Theoretikern. Die Inhalte haben sich nur wenig verändert in den letzen Jahrzehnten. Maximal werden einzelnen Elemente ergänzt, von denen selbige Schreibtischtäter meinen, dass unsere Kinder sie hören, sehen, können sollten.

Pädagogik wie zu Zeiten der Großeltern

Die pädagogischen und didaktischen Methoden sind gleichermaßen altmodisch und starr. In den hiesigen Grundschulen sollen sich alle Kinder zur gleichen Zeit auf die gleiche Weise mit den gleichen Inhalten beschäftigen. Wenn es nicht so richtig gut klappt, dass wird eben noch mehr wiederholt und geübt und schlussendlich einfach nur immer mehr vom Gleichen getan.

Wer nicht in den engen Rahmen passt, wird schnell abgestempelt als lernschwach, verhaltensauffällig oder einfach problematisch. Was nicht pathologisch ist und einen wohlklingenden medizinischen Namen hat, wird versucht über Druck und Bestrafung auszumerzen. Wer sich dann immer noch nicht einfügt, möge doch bitte die Schule verlassen, da er/sie offensichtlich nicht richtig (in diesem System) ist.

Was die Schule mit Kinder macht

Es erscheint nicht weiter verwunderlich, dass ein Teil der Kinder ihre Schulzeit als sehr traumatisch erlebt. Die Kinder fühlen sich nicht gesehen oder verstanden. Sie werden mit einem Stempel versehen, gegen den sie sich nicht wehren können. Besonders in jungen Jahren übernehmen sie zudem Kritik der Lehrerin ziemlich ungefiltert und beginnen schnell und oftmals anhaltend an ihren Fähigkeiten zu zweifeln.

Das trifft zum einen Kinder, die den Schulstoff auf die dargebotenen Weise nicht gut oder schnell genug begreifen können. Zum anderen aber auch solche, die vielleicht unterfordert sind, ohne, dass jemand adäquat darauf eingeht, oder Kinder, die einfach sehr empfindsam sind oder von vornherein einen schwachen Selbstwert mitbringen.

Viele der SchülerInnen, die scheinbar gut zurechtkommen, haben schlicht aufgehört selbstständig zu denken. Sie funktionieren einfach nur und machen stumpf, was von ihnen verlangt wird. Für Kreativität, Spontaneität und Entdeckerdrang bleibt kein Raum mehr. Vielleicht nehmen sie wirklich keinen größeren Schaden, aber Nutzen haben sie auch keinen von diesem System.

Was die Schule mit Familien macht

Die allermeisten Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder. Es lässt sie nicht kalt, wenn eine Lehrerin sagt, das Kind muss mehr arbeiten, besser lesen lernen oder schöner schreiben. Die meisten Eltern wollen, dass ihre Kinder später glücklich und erfolgreich sind. Darüber übersehen sie nur häufig, dass das Kind auch jetzt glücklich sein möchte.

Wir sind es so gewohnt, dass wir die Bildung aus den Familien ausgelagert haben. Deshalb fühlen sich viele Eltern gar nicht befähigt, für Bildung zu sorgen oder zu beurteilen, wie das eigene Kind am besten oder am einfachsten lernen kann. Das Urteil der Lehrerin wird nicht hinterfragt, da sie die Expertin ist.

Oft begleitet von einem unguten Gefühl und einer diffusen Idee, dass es anders gehen sollte, versuchen die Eltern zuhause alles umzusetzen, was von der Lehrerin gefordert wird. Eine Spirale aus zunehmendem Druck und Gegendruck führt dazu, dass die Hausaufgabensituation zunehmend zur Belastung wird, die schließlich auch andere Lebensbereiche beeinträchtigt.

Wenn wir Schule heute neu erfinden würden

Das System Schule, wie wir es heute kennen, stammt aus einer Zeit, in der andere Anforderungen an die Menschen gestellt wurden. Wir nehmen es nur deshalb so hin, weil wir es gewohnt sind. Wir kennen es nicht anders und halten es deshalb für normal.

Schon ein Blick über die Landesgrenzen zeigt uns jedoch, dass es durchaus andere Herangehensweisen gibt. So ist Deutschland eines der wenigen Länder mit einer strikten Schulpflicht. Insbesondere die nordischen Länder zeigen uns, dass Schule auch wunderbar ohne Noten funktionieren kann. Und selbst innerhalb Deutschlands sieht die Schullandschaft sehr unterschiedlich aus.

Wenn sich heutzutage ein paar kluge Menschen zusammensetzen würden, um Schule neu zu erfinden, und dabei völlig unvoreingenommen an das Thema gingen, dann würden sicherlich völlig andere Schulen entstehen, als wir sie aktuell kennen. Wenn wir uns vom gewohnten Bild von Lernen und Bildung lösen, könnten wir uns neuen Ideen und Anforderungen viel leichter öffnen.

Leben ist Lernen

Lernen findet keineswegs nur im Klassenzimmer statt und benötigt ebensowenig Bücher oder Arbeitsblätter. Lernen beginnt mit dem ersten Atemzug und endet mit dem letzten. Kleinkinder lernen krabbeln, laufen, sprechen. Später kommen noch Schwimmen, Fahrradfahren und Zählen dazu. Vieles passiert ohne unser Zutun, manches profitiert von ein wenig Unterstützung.

Auch im höheren Alter lernen wir immer weiter, strukturiert in einer Ausbildung oder einem neuen Job, oder auch völlig nebenbei aus unseren Erfahrungen und Erlebnissen. Wir lernen in Gesprächen, bei Spazierengehen, beim Lesen oder sogar aus dem Fernsehen. Es passiert immer wieder, dass wir eine neue Erkenntnis erlangen, sei es geplant oder auch ganz zufällig. Unser Leben besteht zu einem bedeutsamen Teil aus Lernen.

Lernen ist Leben

Lernen bestimmt unser Leben, dennoch haben viele Menschen eine sehr negative Haltung dazu. Anstrengend sei es, Spaß würde es keinen machen, und außerdem sei es etwas, das man nur tut, wenn es notwendig ist. Dabei wird Lernen in aller Regel nur als das stark reglementierte Lernen in Schule und Ausbildung verstanden, ohne überhaupt zu sehen, wo Lernen sonst noch stattfindet.

„Ich muss noch lernen“, sagen schon Grundschulkinder und meinen meist, dass sie sich Inhalte einprägen sollen, die sie nicht sonderlich interessieren. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass Lernen bedeutet, unseren angeborenen Wissensdrang zu befriedigen, neue Fähigkeiten zu erlangen, uns zu entwickeln, Zusammenhänge zu verstehen oder einfach unserer Neugier nachzugeben.

Wenn Lernen bedeutet, das sich ein Mensch mit den Inhalten beschäftigt, die ihn gerade interessieren, und das auf eine Art, die seinen Stärken und Vorlieben entspricht, dann ist Lernen äußerst befriedigend und macht großen Spaß. Lernen wird so zu einem tragenden Element unserer täglichen Lebens, da es nicht mehr mit Mühe oder Anstrengung assoziiert ist.

Wie Lernen gelingt

Jeder Mensch kann lernen und ist mir ein angeborenen Entdeckerfreude auf die Welt gekommen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Unterdrückt wird diese Entdeckerfreude, wenn das Lernen von den eigenen Bedürfnissen und Beziehungen entkoppelt wird. Oft fängt das schon im Kindergarten an, wenn unterschieden wird, zwischen Spielen auf der einen Seite, das freiwillig passiert und Spaß machen darf, und Lernen auf der anderen Seite, das Arbeit und Verpflichtung ist.

Dabei lernen Kleinkinder am meisten im freien Spiel und durch Nachahmung. Lernen braucht schließlich Beziehung und eine solide Basis aus Vertrauen und Sicherheit. Für SchülerInnen funktioniert das in ganz ähnlicher Weise. Auch diese lernen in der Interaktion mit anderen, durch Aktivierung aller Sinne und vor allem durch eigenes Tun.

Die Erwachsenen in Kitas und Schulen sollten dabei das Lernen begleiten, ohne zu lehren. So können die SchülerInnen selbstständig aktiv werden, Verantwortung übernehmen und gleichzeitig jederzeit Unterstützung einfordern. Schulisches Lernen kann funktionieren, wie alle anderen Lernprozesse im Leben auch. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass man hier spezielle pädagogische Methoden oder Druck einsetzen müsste.

Was Kinder brauchen

In einer Welt, die sich so schnell verändert, wie unsere; in der Prognosen beinahe so schnell überholt sind, wie sie ausgesprochen werden; in einer Welt, die heute schon ganz anders funktioniert als in unserer Kindheit; in einer solchen Welt ist es doch ziemlich vermessen, wenn wir uns einbilden, zu wissen, welche Kenntnisse unserer Kinder später benötigen werden.

Zwar gibt es Grund zu der Annahme, dass der Erwerb spezieller Kulturtechniken, wie lesen und rechnen, auch heutzutage äußerst sinnvoll ist. Schon beim handschriftlichen Schreiben scheiden sich jedoch die Geister. Und noch schwieriger wird es mit fachlichem Detailwissen, da wir heutzutage so ziemlich alles in kürzester Zeit nachlesen können.

Weitaus wichtiger als die eigentlichen Inhalte („was“), sind deshalb in vielen Bereichen die Herangehensweisen („wie“). Kinder brauchen Fähigkeiten sich in der Informationsflut zurechtzufinden, relevante von irrelevanter Information zu unterscheiden, und die fachliche Qualität von Texten und Vorträgen zu beurteilen. Kinder müssen die Lage versetzt werden, sich eigenständig das Wissen und die Kenntnisse anzueignen, die sie benötigen.

Was Schule können sollte

Schule, egal welcher Art und Ausrichtung, kann sich realistischer Weise nicht anmaßen, den jungen Menschen von heute auch nur ansatzweise alles beizubringen, was sie im Leben brauchen werden. Deshalb sollte Bildung insgesamt zum Ziel haben, die SchülerInnen zu selbstbewusste, starken Persönlichkeiten auszubilden, die ihre eigenen Stärken kennen und nutzen können. Dies ermöglicht ihnen, sich im Leben zurechtzufinden und zu lernen, was für ihren eigenen Weg wichtig ist.

Wenn wir über Bildungsziele sprechen, sollten wir immer im Kopf behalte, dass die Geschicke der Welt früher oder später von den Menschen abhängen, die wir jetzt ausbilden. Deshalb sollte eine moderne Schule weniger Inhalte, dafür mehr Methoden und Strategien vermitteln. Und vor allem kann eine moderne Schule keine verpflichtende Schule sein. Bildung und Lernen sind so individuell, dass es verschieden Wege geben muss. Was wir brauchen ist ein Recht auf Bildung, nicht eine Pflicht zum Schulbesuch.

Und auch die Schulen selbst benötigen eine andere Ausrichtung. So sollte jede Schule ihre SchülerInnen unterstützen und zur Persönlichkeitsbildung beitragen, in dem sie:

  • Eigenverantwortung stärkt
  • intrinsische Motivation fördert
  • Lernstrategien vermittelt
  • eigenständige Wissensaneignung ermöglicht
  • Selbstwert und Selbstvertrauen stärkt
  • Stärken fördert und entdecken lässt
  • Interessen erkennen und ausleben lässt
  • ökologisches und sozialen Bewusstsein schärft
  • Entspannung und Entschleunigung lebt

Um diese Ziele umsetzen zu können, ist es erforderlich, dass LehrerInnen selbst bereit sind, sich mit Veränderungen auseinanderzusetzen und immer weiter zu lernen. Statt LehrerInnen brauchen wir LernbegleiterInnen, die ihren SchülerInnen auf Augenhöhe begegnen und so gemeinsam wertschätzende Lerngemeinschaften bilden. Ein Kernelement solcher Lerngemeinschaften ist Toleranz. Das bedeutet, jeder Mensch ist gleichermaßen wertvoll, auch wenn man unterschiedlicher Meinung oder Anschauung ist und wenn sich jemand anders verhält, als man sich das wünscht.

Mein Wunsch

Veränderung in unserem Bildungssystem geschieht langsam und bis wirklich etwas Messbares herauskommt, dauert es wohl noch eine ganze Weile. Deshalb wünsche ich mir, dass mehr Eltern bewusst und aktiv hinsehen und anfangen ihre Kinder so zu unterstützen und zu stärken, dass es diesen jetzt gut geht. Der beste Garant für eine glückliche und erfolgreiche Zukunft der Kinder ist schließlich ein gesundes Selbstvertrauen und die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen. Beides benötigt aber bereits jetzt eine solide Basis aus vertrauensvollen Beziehungen.

Ich wünsche mir, dass alle LehrerInnen in allererster Linie das Wohlergehen und Selbstvertrauen der SchülerInnen im Blick haben und all das, was sie erwarten, als Rollenmodelle vorleben. Alle sollten sich immer und überall als gleichwürdige Menschen begegnen, unabhängig von Status, Alter oder Einkommen. Auch in der Schule! Kinder und Jugendliche sind vollwertige, fertige Menschen mit Rechten und Würde. Sie müssen nicht geformt werden, sonder haben ein Recht, akzeptiert zu werden, wie sie sind.

Und zudem wünsche ich mir, dass alle Institute, Akademien und Bildungsstätten, die Beziehungs- und Bindungsorientiert arbeiten, sich gegenseitig würdigen und unterstützen. Es gibt genug in diesem Bereich zu tun, da ist Konkurrenzdenken sicherlich fehl am Platz. Eltern, LehrerInnen und die Jugendlichen selbst, alle können Unterstützung brauchen. Und Immer noch sind es nur wenige, die solche Unterstützung bieten.

Mein Beitrag

Aus meiner langjährigen Erfahrung mit Studierenden und Kindern, auch meinen eigenen, gepaart mit den Erlebnissen aus der Coronazeit ist ein Projekt entstanden. Mitte des Jahres habe ich die Holistische Lernwerkstatt gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst vielen Menschen die Freude am Lernen zurückzugeben und den Schulstress aus den Familien zu holen.

Dabei möchte auch ich den Fokus auf Beziehung und Kooperation legen und vertrauensvoll mit allen Beteiligten zusammenarbeiten. Denn ich ich bin sicher, dass die Kinder unser wichtigstes Gut sind und entsprechend behandelt werden sollten.

Photo by Markus Spiske on Unsplash 

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