Wer hat noch nicht irgendwo gehört oder gelesen, dass der medizinische Doktortitel doch eigentlich gar nichts wert ist, da er so einfach und ohne großen Aufwand zu erlangen sei? Medizinische Doktorarbeiten würden mitnichten das Niveau naturwissenschaftlicher Arbeiten erreichen und seien eher mit einer Diplomarbeit in diesen Fächern vergleichbar.

Selektive Wahrnehmung

Wenn man vielleicht gerade selbst mitten in der heißen Phase der eigenen Doktorarbeit steckt, um den erfolgreichen Ausgang der wichtigsten Experimente bangt und vor lauter Arbeit schlaflose Nächte verbringt, dann ist es nur verständlich, dass man doch eher verärgert reagiert, wenn jemand behauptet, dass eine Doktorarbeit so einfach sei und man den Titel faktisch geschenkt bekäme.

Oft hört man aber auch vor allem die Dinge, die man im Moment gern hören möchte und die einen in der eigenen Meinung bestätigen. Das nennt man selektive Wahrnehmung. Diese kann durchaus hilfreich und sinnvoll sein, kann aber auch in die Irre führen.

Wenn du also gerade Überlegungen anstellst, ob du denn eine Doktorarbeit beginnen solltest, dann trifft es vermutlich schon eher auf fruchtbaren Boden, wenn dir jemand erzählt, wie einfach und anspruchslos die Arbeit sein wird. Du bist schon jetzt stark eingebunden und beschäftigt, da möchtest du gern glauben, dass so eine Doktorarbeit trotzdem noch Platz hat, eigentlich nur eine Kleinigkeit ist, nicht besonders herausfordernd und schnell erledigt sein wird. Unter diesen Umständen ist deine Entscheidung nämlich ganz klar und einfach. Denn dann gibt es wirklich keinen Grund, warum du auf den Titel verzichten solltest.

Aber wie sieht es denn nun wirklich aus?

Bekommt man den medizinischen Doktortitel wirklich geschenkt?

Lass mich ein bißchen ausholen: Anders als in den meisten anderen Fächern beginnen viele Mediziner ihre Doktorarbeit bereits im Studium, manche schaffen es sogar, die Arbeit vor Ende des Studiums abzuschließen. Die Verleihung des Titels ist natürlich trotzdem an die Vollapprobation als Arzt gebunden.

Der Vorteil so früh mit der Doktorarbeit zu beginnen liegt auf der Hand: während des Studiums bleibt meist mehr Zeit für die Arbeit und zudem ermöglichen die langen Semesterferien konzentrierte Vollzeittätigkeit, z.B. für die Durchführung von Experimenten, Befragungen oder Untersuchungen. Gerade bei klinischen Arbeiten kann häufig auch noch eine Famulatur parallel durchgeführt werden, so dass die Zeit äußerst effektiv genutzt wird.

Kritiker dieses frühen Einstiegs in das Promotionsthemas führen an, dass zu diesem Zeitpunkt ein profundes Fachwissen noch gar nicht aufgebaut worden sein kann. Ich traue mich einfach dagegenzuhalten, dass die Themen der meisten Doktorarbeiten so speziell sind, dass auch nach Ende des Studiums das Wissen dazu nicht größer ist.

Dennoch gilt die medizinische Doktorarbeit oft als Schmalspurarbeit, die sich eher auf dem Niveau einer naturwissenschaftlichen Diplomarbeit bewegt, statt auf dem Niveau einer „echten“ Doktorarbeit. Als weiteres Argument hierfür wird die Dauer der Arbeit angeführt. Der praktische Teil medizinischer Arbeiten lässt sich häufig innerhalb ein oder zwei Semester(ferien) erledigen, während Biologen oder Physiker meist für drei bis fünf Jahre eine Doktorandenstelle innehaben. Innerhalb dieser Zeit können sie ihre Promotion durchführen, wobei nicht vergessen werden sollte, dass der größte Teil der Zeit überhaupt nicht für die eigene Doktorarbeit verwendet wird, sondern vielmehr für allgemeine Tätigkeiten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Hochschule, wie Lehre und andere Forschungsprojekte.

Wie groß ist der Zeitaufwand?

Wie zeitaufwändig, komplex und anspruchsvoll eine Doktorarbeit also wirklich ist, lässt sich so pauschal nicht beantworten. Der Umfang einer konkreten anvisierten Arbeit lässt sich dennoch vielfach schon im Vorfeld relativ genau klären. Auch die Art der Arbeit lässt gewisse Rückschlüsse auf den zu erwartenden Aufwand zu.

So gibt es sogenannte „statistische“ Arbeiten, die mit relativ wenig Aufwand zu bewerkstelligen sind. Üblicherweise versteht man unter dem Begriff der statistischen Arbeit eine rückwirkende Auswertung bereits vorhandener Patientenakten hinsichtlicher einer konkreten und bislang unbeantworteten Fragestellung. Wenn man statt mit Akten, mit Daten aus der wissenschaftlichen Literatur arbeitet, spricht man auch von einer Literaturarbeit. Die nötigen Unterlagen sind in der Regel bereits vorhanden und die Auswertung kann meist sehr flexibel und unabhängig von anderen durchgeführt werden. Die Einarbeitungszeit hängt natürlich von den eigenen Vorkenntnissen ab, ist aber in den meisten Fällen verhältnismäßig kurz, so dass der Erfolg der Arbeit weitgehend von der eigenen Motivation und dem eigenen Fleiß abhängt. Die statistischen Methoden einer solche Arbeit können manchmal etwas kompliziert werden, insgesamt ist sie aber eher einfach und wenig anfällig für Verzögerungen und Schwierigkeiten.

Schwieriger, komplexer, aber meist auch spannender sind experimentelle, klinische und auch epidemiologische Arbeiten. Der Doktorand ist hier meist Teil eines Forschungsteams, dem manchmal auch noch weitere DoktorandInnen angehören. Jeder bekommt bestimmte Aufgaben zugewiesen, so dass alle gemeinsam zum Gelingen des gesamten Projekts beitragen, wovon dann auch das Gelingen der eigenen Arbeit abhängig ist. Es gibt auch Arbeiten, die zwar in ein größeren Forschungsprojekt eingebunden sind, wo aber jede Doktorandin ihre eigene Versuchsreihe oder ihre eigene (kleine) Studie durchführt und damit genau die Daten selbst erhebt, die sie anschließend auch auswerten möchte. Der Lerneffekt bei diesen Arbeiten ist meist groß und sie eigenen sich oft als Einstieg in eine weitere Tätigkeit auf dem Gebiet. Übicherweise sind die DoktorandInnen in mehr oder weniger großem Maße abhängig vom Zeitplan und der Mitarbeit Dritter. Phasen mit hoher Arbeitsbelastung und ungeplante Leerlaufzeiten wechseln sich oft ab und am besten sollte man von vornherein einplanen, dass es zu gewissen Verzögerungen kommt.

Nur noch zusammenschreiben!?

Auch nach Abschluss der eigentlichen Versuche ist eine Doktorarbeit noch längst nicht fertig. Es heißt, man müsse „nur noch zusammenschreiben“, nur dass das leider für viele nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Der Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit, ein angemessener Schreibstil und das korrekte Zitieren, all das will gelernt sein, nicht zu vergessen die sinnvolle Interpretation der Ergebnisse und zuerst natürlich die geeignete Auswertestrategie. Auch in dieser Phase gibt es noch viel zu tun und vieles zu lernen.

Zudem steigt der Aufwand immens an, wenn man immer wieder nur kurze Zeitabschnitte mit der Arbeit verbringt. Dann muss man sich jedes Mal ein Stück weit neu eindenken und wieder neue Ideen mit verarbeiten.

Insgesamt sollte allerdings klar geworden sein, dass die schnellste Arbeit nicht unbedingt am besten geeignet ist. Das ist abhängig von den eigenen Zielen und Prioritäten. Wer z.B. eine gute Note haben möchte, wird sicherlich eher eine klinische oder experimentelle Arbeit wählen. Wer durch die Arbeit bereits den Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn vorbereiten will, sollte unbedingt eine thematisch passende Arbeit wählen. Wenn nur der möglichst unkomplizierte Titelerwerb im Vordergrund steht kann eine statistische Arbeite eine gute Wahl sein, wobei für manch einen dennoch ein spannendes, herausforderndes Thema motivierender sein könnte.

Fazit:

Für viele Mediziner ist der Erwerb des Doktortitels fast schon eine Selbstverständlichkeit oder eine gefühlte Notwendigkeit. Nicht vergessen sollte man dabei allerdings, wieviel Aufwand und Mühe in einer Doktorarbeit steckt. Geschenkt bekommt man den Titel in keinem Fall, deshalb sollten Fachbereich, Thema und Zeitpunkt gut überlegt sein.

Dieser Artikel ist der zweite Teil meiner Serie zum Thema „Dein Weg zum Doktortitel“. Im ersten Teil „Einen Doktortitel? – Warum denn eigentlich?“ geht es darum, eine klare Entscheidung für oder gegen den Doktortitel zu treffen. Der dritte Teil der Serie „Wie du die richtige Doktorarbeit findest“ wird in etwa zwei Wochen erscheinen. Wenn du sicher stellen willst, die nächsten Teile nicht zu verpassen, melde dich doch für meinen Newsletter an.

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