Stress hat direkten Einfluss auf unser Essverhalten. Das liegt nicht an mangelnder Disziplin oder Faulheit, sondern an der biologischen Reaktion unseres Körpers. Unter Stress produziert der Körper mehr Cortisol. Dieses Stresshormon beeinflusst nicht nur unseren Stoffwechsel, sondern auch Appetit und Nahrungswahl. Manche Menschen bekommen Heißhunger, vor allem auf schnelle Energie in Form von Zucker und Fett. Andere verlieren komplett den Appetit. Oft fehlt schlicht die Zeit oder Energie für bewusste Mahlzeiten.

Hinzu kommt: In stressigen Phasen greifen viele Menschen auf Gewohnheiten zurück, die kurzfristig entlasten. Das kann bedeuten, Mahlzeiten ausfallen zu lassen, sich von Snacks zu ernähren oder zwischen Tür und Angel zu essen.

Gleichzeitig werden Entscheidungen rund ums Essen in solchen Phasen oft zur zusätzlichen Belastung. Fragen wie „Was soll ich essen?“, „Habe ich noch etwas zu Hause?“ oder „Wie kann ich das schnell zubereiten?“ wirken plötzlich riesig – und führen dazu, dass wir lieber gar nichts essen oder zu wenig hilfreichen Optionen greifen. Das ist nachvollziehbar, aber langfristig kräftezehrend.


Was der Körper unter Stress wirklich braucht

Der Bedarf an Energie und Nährstoffen steigt in stressigen Zeiten – nicht weil man mehr leisten muss, sondern weil der Körper im Dauerbetrieb arbeitet.

Besonders wichtig sind:

  • Komplexe Kohlenhydrate, die für gleichmäßige Energie sorgen
  • Proteine, die unter anderem den Neurotransmitter-Haushalt stabilisieren
  • Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmend wirken
  • B-Vitamine und Magnesium, die direkt am Energiestoffwechsel beteiligt sind
  • Wasser, um Stoffwechselprozesse und Entgiftung zu unterstützen


Zudem braucht das Verdauungssystem mehr Unterstützung, wenn der Körper dauerhaft unter Spannung steht. Ballaststoffe, ausreichend Wasser und verdauungsfreundliche Mahlzeiten helfen, Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Unverträglichkeiten vorzubeugen.

Ein unterschätzter Punkt: Auch die Art, wie wir essen, macht einen Unterschied. Regelmäßigkeit, ein angenehmes Umfeld, langsames Kauen – all das unterstützt nicht nur die Verdauung, sondern auch das Gefühl von Stabilität und Selbstfürsorge.

Beispiel aus der Praxis: Gerade in intensiven Lern- oder Prüfungsphasen berichten viele meiner Klient\:innen davon, dass sie trotz ausreichend Schlaf und guter Planung körperlich erschöpft sind, Konzentrationsprobleme haben oder sogar krank werden, sobald der Stress nachlässt. Auf Nachfrage zeigt sich häufig, dass über Wochen hinweg das gesamte Essverhalten komplett aus dem Ruder gelaufen ist – hier liegt wirklich ein sehr stark unterschätzter Schlüssel zu mehr Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden.


Kleine Änderungen mit großer Wirkung

Es braucht kein perfektes Ernährungskonzept, um den eigenen Körper in stressigen Zeiten zu stärken. Oft reichen kleine Anpassungen:

  • Regelmäßigkeit statt Rigoros: Lieber drei einfache Mahlzeiten am Tag als ständiges Snacken oder komplettes Auslassen.
  • Snacks mit Substanz: Nüsse, Hummus, Obst, Overnight Oats oder Reiswaffeln mit Mandelmus sind schnell greifbar und liefern Nährstoffe.
  • Trinken nicht vergessen: Ein Glas Wasser vor jeder Mahlzeit kann helfen, den Flüssigkeitshaushalt zu stabilisieren.
  • Vorbereitung minimieren: Fertige dir eine kleine Liste mit unkomplizierten Lieblingsgerichten an, auf die du jederzeit zurückgreifen kannst.
  • Wärme nutzen: Warme Speisen wie Suppen, Eintöpfe oder Porridge beruhigen das Nervensystem – und sind oft einfacher zu verdauen.

Wer wenig Zeit oder Lust zum Kochen hat, kann sich mit „Meal Prep light“ behelfen: Gekochte Kartoffeln im Kühlschrank, ein Topf Suppe für zwei Tage, vorgeschnittenes und / oder tiefgefrorenes Gemüse machen vieles einfacher.

Ergänzender Impuls: Es geht nicht darum, alles umzustellen. Manchmal reicht schon ein fester „Snack-Ort“ in der Küche, eine tägliche Erinnerung ans Trinken oder ein vorbereitetes Basisgericht wie Pasta mit Tomatensauce, das einfach und wohltuend ist.


Safe Foods & sensorische Besonderheiten

Besonders neurosensitive Menschen mit hoher sensorischer Empfindsamkeit haben oft ein eingeschränktes Repertoire an Lebensmitteln, die sich „sicher“ anfühlen. In stressigen Zeiten kann dieses Repertoire noch kleiner werden. Doch auch Menschen in besonderen Lebensphasen wie beispielsweise Schwangerschaft kennen ähnliche Herausforderungen.

Statt dagegen anzukämpfen, ist ein pragmatischer Umgang hilfreich. Frage dich:

  • Was kann ich mir ohne Widerstand zuführen?
  • Wie kann ich ein sicheres Lebensmittel so ergänzen, dass es nährstoffreicher wird?
  • Welche Texturen, Temperaturen oder Kombinationen sind angenehm für mich?

Ein Beispiel: Wenn Toast das einzige ist, was gerade geht, dann hilft vielleicht ein Nussmus oder Avocado als Belag. Oder ein Glas Saft dazu, um wenigstens einige Vitamine aufzunehmen. Auch pürierte Suppen, milde Smoothies oder milchfreie Puddings können gute Kompromisse darstellen.

Erlaube dir, mit kleinen Experimenten zu arbeiten. Vielleicht ist es nicht die perfekte Mahlzeit – aber eine, die du zu dir nehmen kannst, ohne dass sie dich überfordert. Und das ist entscheidend.


Ernährung darf kein weiterer Stressfaktor sein

Der größte Fehler bei Ernährung in stressigen Zeiten ist, sie zu einem weiteren Stressfaktor zu machen. Wenn du dich selbst unter Druck setzt, „besser“ zu essen, verschärft das nur den Teufelskreis. Deshalb:

  • Verabschiede dich von Perfektion: Du musst keine Bilderbuch-Ernährung haben.
  • Sieh Essen als Fürsorge, nicht als Pflicht: Jeder Bissen, der dir Kraft gibt, ist ein Gewinn.
  • Erlaube dir Ausnahmen: Tiefkühlpizza ist kein Versagen, sondern manchmal eine Form von Selbstschutz.
  • Nutze Routinen, die entlasten: Ein fester Essensplatz, feste Zeiten oder vorbereitete Grundzutaten geben Halt. Zum Beispiel: Immer dienstags gibt es Pasta mit Tomatensoße – keine Entscheidung notwendig, kein Aufwand.
  • Hol dir Unterstützung: Ob Mitkochpartner, Familienmitglied oder Therapeutin – manchmal hilft es, das Thema gemeinsam zu entstressen.

Wichtig ist, dass du in Verbindung mit deinem Körper bleibst. Heißhunger, Durst, Energieeinbrüche – all das sind wichtige Hinweise. Es geht nicht darum, sie zu ignorieren, sondern sie ernst zu nehmen.


Fazit: Ernährung als Selbstfürsorge

Gerade in stressigen Phasen verdient dein Körper deine Aufmerksamkeit. Nicht im Sinne von Selbstoptimierung, sondern als Ausdruck von Fürsorge. Eine warme Mahlzeit, ein nährstoffreicher Snack, ein Glas Wasser zur richtigen Zeit – das sind kleine Taten mit großer Wirkung.

Ernährung darf einfach sein. Sie darf zu deinem Alltag passen. Und sie darf dich stärken, ohne dich zu überfordern. Wenn du dir erlaubst, pragmatisch und freundlich mit dir umzugehen, wird dein Essen zu genau dem, was es sein soll: Energie für dich und dein Leben.

Du musst nicht alles auf einmal ändern. Jeder kleine Schritt zählt. Und manchmal beginnt alles mit einem einzigen Glas Wasser oder einem Apfel zur rechten Zeit. Es sind diese vermeintlich kleinen Entscheidungen, die langfristig den Unterschied machen – und dich auch durch stressige Zeiten tragen können.

Wenn du merkst, dass dich das Thema Ernährung in besonderen Belastungssituationen überfordert – wie z. B. bei Prüfungsvorbereitung – oder du deine Lern- oder Arbeitsgewohnheiten insgesamt reflektieren möchtest, unterstütze ich dich gern. Gemeinsam entwickeln wir alltagstaugliche Strategien, die wirklich zu dir passen – ohne Perfektionsdruck und mit viel Verständnis für deine individuelle Lebenssituation.

Denk daran: Selbstfürsorge beginnt oft mit den einfachsten Dingen – und Ernährung kann ein kraftvoller Hebel für deine Resilienz sein.


Foto von courtneyk von Getty Images über Canva.com

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